11Jul2012

Eine dem Publikum vorerst unbekannte Designhinterlegung geniesst Priorität gemäss Art. 6 DesG

Die Beschwerdeführerinnen stellen Luxusuhren her und entwickelten in diesem Zusammenhang ein neues Gehäuse am Tourbillon. Sie hinterlegten es am 25. Januar 2005 beim IGE als Design und es wurde am 8. März 2005 im Register eingetragen. Die Beschwerdegegnerin lancierte im Jahr 2008 eine Uhr mit einem verwechselbar ähnlichen Design, worauf die Beschwerdeführerinnen eine Klage beim Kantonsgericht Neuenburg einreichten.

Sie beantragten, es sei der Beschwerdegegnerin zu verbieten, Uhren dieser Art zu vertreiben und die Designbezeichnung zu verwenden, der damit erzielte Gewinn sei darzulegen sowie herauszugeben und die Uhren seien zu beschlagnahmen und zu vernichten. Die Beschwerdegegnerin entgegnete, dass das Design der Beschwerdeführerinnen nichtig sei und verwies auf ein identisches Design, das von Dritten (A. AG) am 23. November 2004 hinterlegt wurde. Der Registereintrag fand allerdings erst am 8. Februar 2005 statt, dennoch geniesse es ihrer Ansicht nach Priorität. Das Kantonsgericht Neuenburg hat die Klage der Beschwerdeführerinnen abgewiesen und die Anträge der Beschwerdegegnerin gutgeheissen. Dagegen haben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie stellten sich auf den Standpunkt, dass ein hinterlegtes, aber noch nicht eingetragenes Design der Öffentlichkeit nicht bekannt sei und daher könne ein später hinterlegtes Design nicht für nichtig erklärt werden. Die Priorität der Ersthinterlegung könne die Neuheit und Eigenart der späteren Hinterlegung nur dann zerstören, wenn sie im spezifischen Fachkreis oder dem Durchschnittsabnehmer in der Schweiz bereits vor der Hinterlegung des prioritätsjüngeren Designs bekannt war. Die Beschwerdeführerinnen wiesen also Art. 4 DesG einen abschliessenden Charakter zu und erteilten Art. 6 DesG in diesem Zusammenhang eine eingeschränkte Wirkung. Weiter verwiesen die Beschwerdeführerinnen bei der Hinterlegungsfrage auf Art. 3 Abs. 3 PatG. Das Bundesgericht widerspricht dem und hält fest, dass der Gesetzgeber in Art. 6 DesG einen zusätzlichen Ausschlussgrund neben Art. 4 DesG vorgesehen hat und dass das PatG wegen den unterschiedlichen Schutzbereichen nicht angewendet werden kann. Gemäss Art. 6 DesG steht das Recht am Design nur derjenigen Person zu, die es zuerst hinterlegt hat. Das Bundesgericht entscheidet folglich, dass sich ein Inhaber einer älteren Designhinterlegung, die im Zeitpunkt der Hinterlegung eines zweiten, ähnlichen Designs dem Publikum noch nicht bekannt war, auf Art. 6 DesG berufen kann und Hinterlegungspriorität geniesst. Dem Standpunkt der Beschwerdeführerinnen kann also nicht gefolgt werden. Weiter machten die Beschwerdeführerinnen geltend, dass sich Art. 6 DesG nur auf identische Designhinterlegungen beziehe und daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Denn die prioritätsältere Designeintragung der Dritten sei mit ihrer weder identisch noch ähnlich und übe daher auch keinen Einfluss auf ihre Hinterlegung aus. Diese Aussage verwirft das Bundesgericht und erwägt, dass Art. 6 DesG nicht nur bei identischen Designs anwendbar ist, sondern gemäss herrschender Lehre sind alle identischen oder unter der Betrachtung des Gesamteindrucks ähnlichen Designs erfasst. Bei der Auslegung des Wortlauts von Art. 6 DesG muss also der Art. 8 DesG hinzugezogen werden. Dieser regelt den Schutzumfang von Designs, welcher sich auf Designs erstreckt, die die gleichen wesentlichen Merkmale aufweisen und dadurch den gleichen Gesamteindruck erwecken wie ein bereits eingetragenes Design. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.

(BGer 4A_139/2012, Entscheid vom 8. Juni 2012)